100 грамм deutsche Schule

„Lernen, lernen und nochmals lernen“ Lenin // Schule Nr. 1 in Slawjansk-na-Kubani // Foto: Martin Hawlisch (Ausschnitt)

Schule: Wir haben viel von ihr erwartet und sie von uns, meist kamen jedoch Frust und Enttäuschung dabei heraus. Warum eigentlich? Wie funktioniert Schule und wie könnte (oder sollte) sie sein? Was genau bedeutet Lernen im schulischen Kontext? Mit welchen Tricks haben wir diese Zeit überhaupt überstanden? Darüber reden wir in unserer dritten Episode − jetzt gibt’s 100 грамм Schule!

Wir sprechen natürlich auch darüber, wie es für uns als Migrant:innen (aka „Scheiß-Russ:innen“) an deutschen Schulen war, wie Lehrer:innen uns damals und heute noch mit Wut erfüll(t)en, aber auch über Freundschaften, ohne die wir die Schule am liebsten verlassen und abgefackelt hätten. Außerdem erzählen wir von unterstützenden Lehrer:innen, die uns geprägt und neue Perspektiven eröffnet haben.

Viel Spaß!

100 Gramm Deutsche Schule: FOLGE ALS MP3


Первый раз в первый класс!


Und wenige Jahre später, in der 6./7. Klasse, ist der Hass so groß geworden, dass Tatjana Jakowlewna mit Natalja Wladimirowna eine Ode an die Schulverbrennung schreibt. Hier eine zensiert-gekürzte Version:

„(…)
Пламя взвилося до самых до небес.
В поджигателей вселился будто бес.
Школьники взрываются от смеха:
Горит их школа – вот такая вот утеха.

(…)

Как жаль! В столовой ведь сгорела вся еда!
Ведь лишь о жрачке будем мы скорбить всегда.
Но что поделать – такова цена геройства! –
Сожгли мы школу, вместе с ней все беспокойства.

И если плачет ученик, то лишь от счастья:
Сгорела школа – улетели все ненастья.
Валяясь по полу, все школьники смеются –
Их классные журналы больше не найдутся.“


„(…)

Bis in den Himmel steigen die Flammen.
Die Brandstifter sind wie von einem Dämon besessen.
All die Schulkinder platzen vor Lachen:
Ihre Schule steht in Flammen – welch eine Freude.

(…)

Ach wie schade! In der Kantine verbrennt das ganze Essen!
Um das Essen nur werden wir immer trauern.
Doch was soll man machen, das ist der Preis der Heldentat! –
Wir haben die Schule verbrannt, mit ihr all unsere Sorgen.

Und wenn ein Schüler weint, so nur vor Glück:
Die Schule ist abgebrannt, der ganze Ärger ist weg.
Die Schülerer rollen sich vor Lachen über den Boden:
Die Klassenbücher werden nie mehr zu finden sein.“

Die Dichterinnen, von ihren Fans porträtiert.


Musik

„Прогуляли школу, чтобы пойти веселиться
Наверное, мой учитель сидит на меня в обиде
Они мне говорят: „Экзамены важнее жизни“
Идите нахуй, быть счастливым надо в этом мире

Школа для дураков
Школа для дураков
Школа для дураков
Школа для дураков“


„Wie schwänzten die Schule, um feiern zu gehen
Wahrscheinlich sitzt mein Lehrer voller Groll auf mich
Sie sagen mir: „Prüfungen sind wichtiger als das Leben.“
Fickt euch alle, man muss auf dieser Welt glücklich sein.

Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe“

„Если с другом вышел в путь
Веселей дорога
Без друзей меня чуть-чуть
А с друзьями много

Что мне снег что мне зной
Что мне дождик проливной
Когда мои друзья со мной
Что мне снег что мне зной
Что мне дождик проливной
Когда мои друзья со мной“


„Wenn du mit einem Freund unterwegs bist,
Macht der Weg mehr Spaß.
Ohne Freunde bin ich nur ein kleines bisschen
Und mit Freunden bin ich eine ganze Menge.

Mich kümmert weder Schnee noch Hitze,
Was kümmert’s mich, wenn’s in Strömen regnet
Wenn meine Freunde bei mir sind!
Mich kümmert weder Schnee noch Hitze,
Was kümmert’s mich, wenn’s in Strömen regnet
Wenn meine Freunde bei mir sind!“


Literatur & Empfehlungen

Dissens Podcast #126 „Unser Schulsystem kommt aus der Ständegesellschaft“

X3 Podcast – Folge „Von Schule und Sadismus“:

„Die Schulzeit ist ungerecht, egal in welchem Land. Wir stellen uns die Frage, ob und warum wir unsichtbar und dann trotzdem Systemsprenger waren, woher unser Gerechtigkeitssinn kommt und ob der Kampf um Anerkennung am Ende zur Emanzipation führt.“

Bildung in Rosa – ein Podcast auf dem Weg zu inklusiver Bildung mit Songül Bitiş und Nina Borst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung


Walter Benjamin (1969): Über Kinder, Jugend und Erziehung.

„Spezialisierung oder Universalismus der Arbeit? Die Antwort des Marxismus lautet: Universalismus“ (89)

Karl Marx (1965 [1862/63]): Theorien über den Mehrwert (MEW 26-1)

„Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten − oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite vorwiegt, − zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen“ (387)

Theodor W. Adorno (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Helmut Becker 1959-1969.

„Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion“ (90).

„Gerade die Bereitschaft, mit der Macht es zu halten und äußerlich dem, was stärker ist, als Norm sich zu beugen, ist aber die Sinnesart der Quälgeister, die nicht mehr aufkommen soll. (…) Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie“ (93)

„…es ist wichtig, daß wir hier festhalten, daß natürlich ein Ablösungsprozeß von dieser Autorität notwendig ist, daß aber die Identitätsfindung ohne die Begegnung mit Autorität wiederum nicht möglich ist. Das hat eine ganze Reihe von sehr komplexen und scheinbar widersprüchlichen Konsequenzen für den Aufbau unseres Bildungswesens. Es heißt, daß es keine sinnvolle Schule ohne Lehrer geben kann, daß andererseits der Lehrer sich darüber klar sein muß, daß seine Hauptaufgabe darin besteht, sich überflüssig zu machen“ (140)

Klaus Holzkamp (1993): Lernen – Subjektwissenschaftliche Grundlegung.

Freerk Huisken (2016): Erziehung im Kapitalismus. Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten.

Gegenstandpunkt (2020): Schule der Konkurrenz.


Übersetzungen: ТЯ

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