100 грамм Wurst und Tschaikowski

Vor 30 Jahren löste sich die Sowjetunion auf. Aber was hat unser Titel damit zu tun? Zwischen schlechter Wurst und Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“ versuchen wir die chaotische Zeit der 1990er im (post-)sowjetischen Raum zu fassen. Wir sprechen über den politischen und gesellschaftlichen Zerfall der Sowjetunion, über das Erstarken von Nationalismus und über bewaffnete Konflikte, die aus dem Zusammenbruch heraus entstanden sind. Wir verraten aber auch, wie man 20 Kilo Butter in handelsübliche Größen zerteilt und wie es ist, bei -35°C ewig auf den Bus zu warten.

100 Gramm Wurst & Tschaikowsky: FOLGE ALS MP3


Musik

Я люблю этот город, но зима здесь слишком длинна.
Я люблю этот город, но зима здесь слишком темна.
Я люблю этот город, но так страшно здесь быть одному.
И за красивыми узорами льда мертва чистота окна.

Фонари за окном горят почти целый день,
В это время я не верю глазам, я верю часам.
И теперь я занят только охраной тепла.
Вот ушёл ещё год, сколько останется нам?

Ich liebe diese Stadt, aber der Winter hier ist zu lang.
Ich liebe diese Stadt, aber der Winter hier ist zu dunkel.
Ich liebe diese Stadt, aber es ist so beängstigend, hier allein zu sein.
Und hinter den schönen Eismustern ist die tote Sauberkeit des Fensters.

Die Laternen vor dem Fenster brennen fast den ganzen Tag,
In dieser Zeit traue ich nicht meinen Augen, sondern der Uhr.
Und jetzt bin ich nur noch damit beschäftigt, die Wärme zu bewahren.
Schon wieder ist ein Jahr vorbei, wie viel Zeit bleibt uns noch?

Год новый наступил
Кушать стало нечего
Ты меня пригласил
И сказал доверчиво
Милая ты моя
Девочка голодная
Я накормлю тебя
Если ты не гордая
Я накормлю тебя
Если ты не гордая

Два кусочека колбаски
У тебя лежали на столе
Ты рассказывал мне сказки
Только я не верила тебе

Наш свадебный салат
Платье подвенечное
И этот сервилат
Буду помнить вечно я
Ты стал теперь крутой
Никого не слушаешь
Помнишь ли, милый мой
Что с тобой мы кушали?
Помнишь ли, милый мой
Что с тобой мы кушали?

Ein neues Jahr ist angebrochen.
Zu essen gibt es nichts.
Du hast mich eingeladen
und sagtest vertrauensvoll:
„Meine Liebe,
Du bist ein hungriges Mädchen
Ich gebe dir was zu essen.
Wenn du dafür nicht zu stolz bist

Zwei Scheiben Wurstlagen auf dem Teller.
Du hast mir Märchen erzählt
Nur habe ich dir nicht geglaubt

Unser Hochzeitssalat,
Das Hochzeitskleid
Und diese Servilat-Wurst
Werde ich ewig in Erinnerung haben.

Du bist jetzt ein Gangster,
Du hörst auf niemanden
Erinnerst du dich, mein Schatz
Was wir früher gegessen haben?

[…]

Автомат, да вагон удачи…
Только парень опять невесел
Письма ходят, девчонка плачет,
Добавляя куплеты в песню

Уже год идёт наступленье,
И пылают чужие хаты
Враг бежит, но что интересно,
Что похожи вы с ним, как братья

Как и ты, дрался с пацанами
Со двора, руки разбивая
Провожали его ребята,
И девчонка его рыдает

И обидно, что случай дался б,
Он бы бил бы тебя с лихвою –
Коль однажды врагом назвался,
Будь хотя бы врагом-героем

И вместо проклятий, ему посвящая живые стихи,
Смеёшься о том, что не смерть бы, а водку из этой руки
Дрожит в амбразуре закат и ухмылка ползёт по щекам,
Как славно бы выпить сейчас по сто грамм таким лютым врагам…

Припев:
Враг навсегда остаётся врагом,
Не дели с ним хлеб, не зови его в дом
Даже если пока воздух миром запах,
Он, хотя и спокойный, но всё-таки враг

Если он, как и ты, не пропил свою честь,
Враг не может быть бывшим, он будет и есть
Будь же верен прицел, и не дрогни рука,
Ты погибнешь, когда пожалеешь врага

Это присказка, а не сказка,
На войне горе воет волком
Слово „лирика“ здесь опасно,
Тот, кто ноет, живёт недолго

Дан приказ – он оборонялся,
В темноту по тебе стреляя
По горам ты за ним гонялся,
По себе его вычисляя

Те же жесты, одни привычки,
Боже, может и вправду братья?
Не убить – самому не выжить,
Ох, придти, расспросить бы батю!

А в прицеле дрожало небо
Слёз не пряча, и бой был долгим
Жаль, что он тебе другом не был,
Ты сильнее… И слава Богу!

[…]

Ein Maschinengewehr und eine Wagenladung Glück…
Nur der Junge ist nicht glücklich
Briefe gehen herum, das Mädchen weint,
Fügen dem Lied weitere Strophen hinzu.

Es war ein Jahr der Offensive:
Die fremden Hütten brennen,
Der Feind flieht, doch was interessant ist,
Ihr ähnelt euch wie Brüder.

Wie auch du, kämpfte auch er mit den Jungs
Vom Hof, seine Hände zerschmetternd
Die Jungen verabschiedeten ihn,
Und sein Mädchen schluchzt.

Und es ärgert, denn hätte es die Chance gegeben,
Er hätte dich zu Brei geschlagen –
Wenn du dich schon als Feind bezeichnest,
Sei wenigstens ein heldenhafter Feind.

Anstelle von Flüchen widmest du ihm ein Gedicht,
Du wünschst dir, es käme nicht der Tod, sondern Wodka aus seiner Hand
Der Sonnenuntergang zittert in der Schießscharte und ein Lächeln huscht über deine Wangen,
Wie schön wäre es, jetzt hundert Gramm auf solch erbitterte Feinde zu trinken…

Refrain:
Ein Feind ist immer ein Feind,
Teile dein Brot nicht mit ihm, bring ihn nicht in dein Haus.
Selbst wenn die Luft nach Frieden riecht,
Er ist zwar friedlich, aber dennoch ein Feind.

Wenn er, wie du, seine Ehre nicht versoffen hat,
Ein Feind kann nicht ein ehemaliger Feind sein, er bleibt ein Feind.
Möge das Gewehr treu bleiben und die Hand nicht zittern –
Du wirst sterben, wenn du Mitleid mit deinem Feind hast.

Dies ist, kein Märchen,
Im Krieg heult der Kummer wie ein Wolf
Das Wort „Lyrik“ ist hier gefährlich:
Wer jammert, lebt nicht lange

Der Befehl war gegeben – er verteidigte sich,
In der Dunkelheit auf dich schießend.
Du jagtest ihn durch die Berge,
Seine Bewegungen über die eigenen berechnend.

Dieselben Gesten, dieselben Gewohnheiten,
Gott, sind wir wirklich Brüder?
Wenn du ihn nicht tötest, kannst du nicht leben,
Oh, könnte ich nur meinen Vater befragen!

Im Zielrohr zitterte der Himmel,
Keine Tränen wurden verborgen, der Kampf war lang,
Ich wünschte, er wäre dein Freund gewesen,
Du bist stärker… Und Gott sei Dank!

DIE Tasche zum Geschäftemachen in den 1990ern.

Das unternehmerische Selbst und DIE Tasche zum Geschäftemachen in den 1990ern.

Für die meisten Leute in den postsowjetischen Ländern hieß „Mode“ in den 1990ern, sich so zu kleiden, wie man es gerade konnte. Hier ein paar Beispiele aus der Provinz: Das waren die 90er, wir kleideten uns, wie wir konnten: Erinnern wir uns an die verrückten Kombinationen der Tjumener in der wilden Epoche // Это были 90-е, мы одевались как могли: вспоминаем сумасшедшие сочетания одежды тюменцев в эпоху «лихих» .

Klamotten shoppen im Russland der 1990er: Базары in der Provinz.

Die Beschaffung der Modestücke musste auf Kleidungsmärkten stattfinden. Im sibirischen Winter waren viele von Kopf bis Fuß in Fell gekleidet und mussten sich auch noch in die überfüllten Busse quetschen.

Татьяна Яковлевна 1993

Татьяна Яковлевна 1993

Antonias Eltern im Frühling 1992 mit Baby im Arm und Hippies im Wald.

Antonia Iwanownas Eltern im Frühling 1992 mit Baby im Arm und Hippies in karpatischen Wäldern.


Literatur

  • Alexijewitsch, Swetlana (2015): Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus // Светлана Алексиевич (2013): Время секонд хэнд

„Ich komme nicht mehr mit … Ich gehöre zu denen, die nicht mitkommen …  Aus dem Zug, der in den Sozialismus eilte, steigen alle schnell um in den Zug, der in den Kapitalismus führt. Ich ereiche ihn nicht… Sie lachen über den „Sowok“ … Nennen ihn „Vieh“ oder „Trottel“. Sie lachen über mich… Die „Roten“ sind heute Bestien, die „Weißen“ dagegen Ritter. Mein Herz und mein Verstand sträuben sich dagegen, rein körperlich wehre ich mich dagegen. Akzeptiere es nicht. (…) Anstelle der lichten Zukunft hieß es nun: Bereichert euch, liebt das Geld… Betet dieses Tier an! Das ganze Volk war darauf nicht vorbereitet. Niemand hatte vom Kapitalismus geträumt, von mir weiß ich das  ganz genau, ich habe nicht davon geträumt… Mit gefiel der Sozialismus. Die Breschnew-Jahre.. die waren schon harmlos… Die blutrünstige Zeit habe ich nicht mehr erlebt… Ich habe die Lieder von Alexandra Pachmutowa gesunden: „Unter unserem Flugzeug, da summt vor sich hin das sattgrüne Meer der Taiga…“ Ich träumte von fester Freundschaft und davon, in der Taiga „himmelblaue Städte“ zu bauen. (…) Ich kann mich über dieses neue Leben nicht freuen! Ich werde mich nie darin wohlfühlen, allein werde ich mich nie wohlfühlen. So vereinzelt.“ (Alexijewitsch „Second Hand Zeit“ 112 f.)

– Was heute ist, gefällt mir nicht, ich bin davon nicht begeistert. Aber in die Sowok will ich auch nicht zurück. Ich sehne mich nicht nach der Vergangenheit. Ich kann mich leider an nichts Gutes erinnern.

– Ich will zurück. Ich will nicht die sowjetische Wurst zurück, ich will das Land zurück, in dem der Mensch Mensch war. Früher hieß es „die einfachen Menschen“, heute „das gemeine Volk“. Spüren Sie den Unterschied? (335)

  • Olga Grjasnowa (2012): Der Russe ist einer, der Birken liebt
  • DJ Stalingrad (2013): Exodus // DJ Stalingrad (2011): Исход

„Wir alle gehören zu der ekelhaften postsowjetischen Generation. Wir haben nichts, keine Ziele und Prinzipien, doch als Erbe von hundert Jahren Kommunismus blieb uns die Sehnsucht. Der Sowjetmensch sollte nichts wollen, persönliches Glück, Freude im Alltag, Freizeitvergnügen, all das, alle Lebensziele des westlichen Siegertyps, rief Spott und Naserümpfen hervor. Der sowjetische Gigant lebte, um sein ehrliches einfaches Leben zu opfern – auf der Baustelle, im Gulag, an der Schießscharte, im Bergwerk, in der kinderreichen Familie, im widerwärtigen Fünfgeschosser. Das Leben – eine Heldentat, ein Opfer. Wir brauchen keinen Jesus, weil hier alle Jesus sind“ (50)

„Wenn ich jemanden besuche, schaue ich als erstes die Tapeten an –  wenn sie alt sind, mit Blümchenmuster, mit Wasserflecken und Blasen, oder Fototapeten, idiotische Kalender, dann bin ich in einem Haus, in dem man mich versteht. Hier wird ehrlich gelebt, niemandem geglaubt, auf viele herabgeblickt, endlos Tee getrunken und darauf gewartet, dass endlich alles vorbei ist. Herzlich willkommen in der Welt der Verlorenen, Hässlichen, Verschlossenen, Kurzsichtigen. Hier ist mein Zuhause, ich brauche kein anderes“ (62)


Augustputsch 1991

Oktoberputsch 1993


Info


Filme, Spiele, Tests

Veröffentlicht unter General, Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм Wurst und Tschaikowski

100 грамм Beton & PVC

100 Gramm Beton & PVC: FOLGE ALS MP3


Das Leben im Plattenbau ist grau, eintönig und isoliert? Im Gegenteil!

Wir beginnen unsere vierte Folge mit Schilderungen des Lebens in der sowjetischen Platte. Außerdem fragen wir uns: Wie haben sich die Wohnverhältnisse in der Sowjetunion historisch entwickelt? Daraufhin geht es zu unseren ersten Unterkünften in Deutschland: Wie haben wir und unsere Familien die Ankunft in Deutschland erlebt? Zu guter Letzt fragen wir uns, was Wohnen in einer kapitalistischen Eigentumsgesellschaft eigentlich bedeutet.

Darüber hinaus haben wir unsere ersten Podcast-Gäste eingeladen: Glenn und Wenzel, die mit vielen weiteren Menschen im ehemaligen Institut für Funktechnik Kolberg das Wohnprojekt Funkinstitut gestartet haben und uns über ihre Ideen und Pläne erzählen. Wir haben gemeinsam ein Wochenende auf dem Gelände verbracht und sind begeistert davon, wie sie Wohnen kollektiv gestalten!

Ausblick vom Turm
funkinstitut.de



Zitate zum Grundeigentum

„(…) die ungeheure Macht, die dies Grundeigentum gibt, wenn es mit dem industriellen Kapital in derselben Hand vereinigt, dieses befähigt, die Arbeiter im Kampf um den Arbeitslohn praktisch von der Erde als ihrem Wohnsitz auszuschließen. Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den andern einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren“ (Marx: Das Kapital Bd. 3, MEW 25: 781 f.)

„Der Verkauf einer Ware besteht bekanntlich darin, daß der Besitzer ihren Gebrauchswert weggibt und ihren Tauschwert einsteckt. Die Gebrauchswerte der Waren unterscheiden sich unter anderem auch darin, daß ihre Konsumtion verschiedene Zeiträume erfordert. Ein Laib Brot wird in einem Tage verzehrt, ein Paar Hosen in einem Jahr verschlissen, ein Haus meinetwegen in hundert Jahren. Bei Waren von langer Verschleißdauer tritt also die Möglichkeit ein, den Gebrauchswert stückweise, jedesmal auf bestimmte Zeit, zu verkaufen, d.h. ihn zu vermieten“ (Engels: Zur Wohnungsfrage, MEW 18: 270)

„Soviel aber ist sicher, daß schon jetzt in den großen Städten hinreichend Wohngebäude vorhanden sind, um bei rationeller Benutzung derselben jeder wirklichen „Wohnungsnot“ sofort abzuhelfen. Dies kann natürlich nur durch Expropriation der heutigen Besitzer, resp. durch Bequartierung ihrer Häuser mit obdachlosen oder in ihren bisherigen Wohnungen übermäßig zusammeng edrängten Arbeitern geschehen, und sobald das Proletariat die politische Macht erobert hat, wird eine solche, durch das öffentliche Wohl gebotene Maßregel ebenso leicht ausführbar sein, wie andere Expropriationen und Einquartierungen durch den heutigen Staat“ (Engels: Zur Wohnungsfrage, MEW 18: 226)

„Die positive Aufhebung des Privateigentums [zu denken], als die Aneignung des menschlichen Lebens, ist daher die positive Aufhebung aller Entfremdung, also die Rückkehr des Menschen aus Religion, Familie, Staat etc. in sein menschliches, d.h. gesellschaftliches Dasein“ (Marx: Pariser Manuskripte, MEW 40: 537)

„Die Eigentümer wollen den Boden nicht selbst benutzen, um darauf zu ackern, zu produzieren oder zu wohnen. Andere Mitglieder der Gesellschaft wollen das tun. Damit sie das tun können, müssen sie die Zustimmung des Eigentümers bekommen. Wie bei jedem Ding, das jemand als Privateigentum exklusiv besitzt und das andere haben wollen, ist dies der Auftakt für eine freundschaftliche Beziehung namens ‚gib mir Geld’“ (Gruppen Gegen Kapital und Nation, 2011: Gentrification)

„Links ist kein Spaß, der keine Mühe macht, sondern die Mühe um die Entwicklung und Hegemoniegewinnung eines Projekts solidarisch-ökologischer Vergesellschaftung; eine Mühe, die auch Spaß machen kann, aber zunächst wirklich Mühe ist: Links ist alles Handeln, das die Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.“ (Haug, Wolfgang Fritz, 1997, S. 20)


Filme, Dokus, Zeichentrickfilme


Literatur

  • Коллонтай, Александра (1923): Василиса Малыгина // Kollontai, Alexandra (1923): Wassilissa Malygina
  • Булгаков, Михаил (1925): Собачье сердце // Bulgakow, Michail (1925): Hundeherz

„Разве Карл Маркс запрещал держать на лестнице ковры? Где-нибудь у Карла Маркса сказано, что 2-й подъезд калабуховского дома на Пречистенке следует забить досками и ходить кругом через черный двор?“

Verbietet etwa Karl Marx, auf der Treppe einen Teppichläufer liegen zu haben? Heißt es etwa bei Karl Marx, der zweite Aufgang des Kalabuchow-Hauses in der Pretschistenka müsse mit Brettern vernagelt werden und man müsse um das Haus herum und über den Hinterhof gehen?“ 

Beschreibung und Zeichnung einer Semljanka aus den Aufzeichnungen der Großeltern


Musik


…und mehr

Эстетика ебеней

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм Beton & PVC

100 грамм Plattenaktionstage

Im Rahmen der diesjährigen Plattenaktionstage vom 26. bis zum 29. August im Ostberliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf veröffentlichen wir unsere vierte Episode zu dem Thema 100 грамм Beton & PVC!

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм Plattenaktionstage

100 грамм deutsche Schule

„Lernen, lernen und nochmals lernen“ Lenin // Schule Nr. 1 in Slawjansk-na-Kubani // Foto: Martin Hawlisch (Ausschnitt)

Schule: Wir haben viel von ihr erwartet und sie von uns, meist kamen jedoch Frust und Enttäuschung dabei heraus. Warum eigentlich? Wie funktioniert Schule und wie könnte (oder sollte) sie sein? Was genau bedeutet Lernen im schulischen Kontext? Mit welchen Tricks haben wir diese Zeit überhaupt überstanden? Darüber reden wir in unserer dritten Episode − jetzt gibt’s 100 грамм Schule!

Wir sprechen natürlich auch darüber, wie es für uns als Migrant:innen (aka „Scheiß-Russ:innen“) an deutschen Schulen war, wie Lehrer:innen uns damals und heute noch mit Wut erfüll(t)en, aber auch über Freundschaften, ohne die wir die Schule am liebsten verlassen und abgefackelt hätten. Außerdem erzählen wir von unterstützenden Lehrer:innen, die uns geprägt und neue Perspektiven eröffnet haben.

Viel Spaß!

100 Gramm Deutsche Schule: FOLGE ALS MP3


Первый раз в первый класс!


Und wenige Jahre später, in der 6./7. Klasse, ist der Hass so groß geworden, dass Tatjana Jakowlewna mit Natalja Wladimirowna eine Ode an die Schulverbrennung schreibt. Hier eine zensiert-gekürzte Version:

„(…)
Пламя взвилося до самых до небес.
В поджигателей вселился будто бес.
Школьники взрываются от смеха:
Горит их школа – вот такая вот утеха.

(…)

Как жаль! В столовой ведь сгорела вся еда!
Ведь лишь о жрачке будем мы скорбить всегда.
Но что поделать – такова цена геройства! –
Сожгли мы школу, вместе с ней все беспокойства.

И если плачет ученик, то лишь от счастья:
Сгорела школа – улетели все ненастья.
Валяясь по полу, все школьники смеются –
Их классные журналы больше не найдутся.“


„(…)

Bis in den Himmel steigen die Flammen.
Die Brandstifter sind wie von einem Dämon besessen.
All die Schulkinder platzen vor Lachen:
Ihre Schule steht in Flammen – welch eine Freude.

(…)

Ach wie schade! In der Kantine verbrennt das ganze Essen!
Um das Essen nur werden wir immer trauern.
Doch was soll man machen, das ist der Preis der Heldentat! –
Wir haben die Schule verbrannt, mit ihr all unsere Sorgen.

Und wenn ein Schüler weint, so nur vor Glück:
Die Schule ist abgebrannt, der ganze Ärger ist weg.
Die Schülerer rollen sich vor Lachen über den Boden:
Die Klassenbücher werden nie mehr zu finden sein.“

Die Dichterinnen, von ihren Fans porträtiert.


Musik

„Прогуляли школу, чтобы пойти веселиться
Наверное, мой учитель сидит на меня в обиде
Они мне говорят: „Экзамены важнее жизни“
Идите нахуй, быть счастливым надо в этом мире

Школа для дураков
Школа для дураков
Школа для дураков
Школа для дураков“


„Wie schwänzten die Schule, um feiern zu gehen
Wahrscheinlich sitzt mein Lehrer voller Groll auf mich
Sie sagen mir: „Prüfungen sind wichtiger als das Leben.“
Fickt euch alle, man muss auf dieser Welt glücklich sein.

Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe
Schule ist für Dummköpfe“

„Если с другом вышел в путь
Веселей дорога
Без друзей меня чуть-чуть
А с друзьями много

Что мне снег что мне зной
Что мне дождик проливной
Когда мои друзья со мной
Что мне снег что мне зной
Что мне дождик проливной
Когда мои друзья со мной“


„Wenn du mit einem Freund unterwegs bist,
Macht der Weg mehr Spaß.
Ohne Freunde bin ich nur ein kleines bisschen
Und mit Freunden bin ich eine ganze Menge.

Mich kümmert weder Schnee noch Hitze,
Was kümmert’s mich, wenn’s in Strömen regnet
Wenn meine Freunde bei mir sind!
Mich kümmert weder Schnee noch Hitze,
Was kümmert’s mich, wenn’s in Strömen regnet
Wenn meine Freunde bei mir sind!“


Literatur & Empfehlungen

Dissens Podcast #126 „Unser Schulsystem kommt aus der Ständegesellschaft“

X3 Podcast – Folge „Von Schule und Sadismus“:

„Die Schulzeit ist ungerecht, egal in welchem Land. Wir stellen uns die Frage, ob und warum wir unsichtbar und dann trotzdem Systemsprenger waren, woher unser Gerechtigkeitssinn kommt und ob der Kampf um Anerkennung am Ende zur Emanzipation führt.“

Bildung in Rosa – ein Podcast auf dem Weg zu inklusiver Bildung mit Songül Bitiş und Nina Borst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung


Walter Benjamin (1969): Über Kinder, Jugend und Erziehung.

„Spezialisierung oder Universalismus der Arbeit? Die Antwort des Marxismus lautet: Universalismus“ (89)

Karl Marx (1965 [1862/63]): Theorien über den Mehrwert (MEW 26-1)

„Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten − oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite vorwiegt, − zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen“ (387)

Theodor W. Adorno (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Helmut Becker 1959-1969.

„Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion“ (90).

„Gerade die Bereitschaft, mit der Macht es zu halten und äußerlich dem, was stärker ist, als Norm sich zu beugen, ist aber die Sinnesart der Quälgeister, die nicht mehr aufkommen soll. (…) Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie“ (93)

„…es ist wichtig, daß wir hier festhalten, daß natürlich ein Ablösungsprozeß von dieser Autorität notwendig ist, daß aber die Identitätsfindung ohne die Begegnung mit Autorität wiederum nicht möglich ist. Das hat eine ganze Reihe von sehr komplexen und scheinbar widersprüchlichen Konsequenzen für den Aufbau unseres Bildungswesens. Es heißt, daß es keine sinnvolle Schule ohne Lehrer geben kann, daß andererseits der Lehrer sich darüber klar sein muß, daß seine Hauptaufgabe darin besteht, sich überflüssig zu machen“ (140)

Klaus Holzkamp (1993): Lernen – Subjektwissenschaftliche Grundlegung.

Freerk Huisken (2016): Erziehung im Kapitalismus. Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten.

Gegenstandpunkt (2020): Schule der Konkurrenz.


Übersetzungen: ТЯ

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм deutsche Schule

100 грамм (allein unter) Kartoschki

In der zweiten Episode unseres Podcasts wollten wir uns eigentlich mit Russisch-, Deutsch- und Jüdischsein beschäftigen und haben bemerkt: Diskussionen über Identität sind schön und gut, ihr Gegenstand aber befindet sich nicht im luftleeren Raum, sondern in konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen. Deshalb sprechen wir in dieser Folge über die gesellschaftliche Basis migrantischer Identität und versuchen, uns aus materialistischer Perspektive dem Thema Identitätspolitik anzunähern.

Wie war es für uns, inmitten von Kartoffeln aufzuwachsen bzw. zu leben? Wie können identitätspolitische Ansätze kritisiert und trotzdem als berechtigter Zugang zu politischen Fragen wahrgenommen werden? Was genau bedeutet Zugehörigkeit für uns, welche Rolle spielt Klasse bei dem Ganzen und wie können wir diese Verhältnisse überwinden?

Diese und viele weitere Themen schneiden wir in der Episode an, unterstreichen unsere  Ideen mit passender Musik und trinken auf die Widersprüche!

Viel Spaß euch beim Hören!

100 Gramm Kartoschki: FOLGE ALS MP3


Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes (RFB) und des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KVJD) versammelt unter einem Transparent mit der Losung „Wir sind die Jugend des Hochverrats“, Quelle: http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71016629


Musik

„Бессловесные в мире брани
Зрячие в мире пустых глазниц
Балансирующие на грани
Своих свобод и чужих границ
(…)
Мы убили в себе государство“

„Wortlos in einer Welt des Fluchens
Sehend in einer Welt der leeren Augenhöhlen
Balancierend am Rande
Der eigenen Freiheiten und der fremden Grenzen
(…)
Wir haben den Staat in uns getötet“

  •  Собака бывает кусачей из мультфильма „Большой секрет для маленькой компании“, музыка: Сергей Никитин, слова: Юнна Мориц // „Der Hund ist zuweilen bissig“ aus dem Zeichentrickfilm „Ein großes Geheimnis für die kleine Gesellschaft“, Musik: Sergej Nikitin, Text: Junna Moriz

„Собака бывает кусачей
Только от жизни собачей.
Только от жизни, от жизни собачей,
Собака бывает кусачей.

Собака хватает зубами за пятку,
Собака съедает гражданку лошадку,
И с ней гражданина кота,
Когда проживает собака не в будке,
Когда у нее завывает в желудке.
И каждому ясно, что эта собака
Круглая сирота.

Никто не хватает зубами за пятку,
Никто не съедает гражданку лошадку,
И с ней гражданина кота,
Когда у собаки есть будка и миска,
Ошейник, луна и в желудке сосиска.
И каждому ясно, что эта собака
Не круглая сирота“

„Ein Hund kann zuweilen bissig sein
Nur vom Hundeleben.
Nur vom Hundeleben, vom Hundeleben
Ist ein Hund zuweilen bissig.

Der Hund beißt jemandem in die Ferse,
Der Hund frisst die Bürgerin Pferd
Und mit ihr den Bürger Kater,
Wenn der Hund keine Hundebude hat,
Wenn ihm der Magen knurrt
Und es jedem klar ist, dass dieser Hund
Ein volles Waisenkind ist.

Niemand beißt anderen in die Fersen,
Keiner frisst die Bürgerin Pferd
Und mit ihr den Bürger Kater,
Wenn er eine Hundebude und einen vollen Napf hat,
Ein Halsband, den Mond und eine Wurst im Bauch
Und es ist allen klar, dieser Hund
Ist kein Waisenkind“

„Нужно что-то делать, куда-то идти
Нужно что-то делать, куда-то прийти“

„Man muss etwas machen, man muss irgendwo hingehen.
Man muss etwas machen, man muss irgendwo hingehen.“

Major Strasser: „What is your nationality?“
Rick: „I’m a drunkard.“
Captain Renault: „That makes Rick a citizen of the world.“

Major Strasser: „Welche Nationalität haben Sie?“
Rick: „Ich bin Trinker.“
Kapitän Renault: „Das macht aus Rick einen Mann von Welt.“


Literaturempfehlungen, Beiträge, Filme

  • Zu jedem Anlass die passenden Marx-Zitate:

„[…] das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (MEW 3: 6)

„[…] es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen“ (MEW 23: 16)

„Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andererseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen“ (MEW 23: 183)

  • Michail Bulgakow (1925): Hundeherz // Михаил Булгаков (1925): Собачье сердце

„Сами знаете, человеку без документов строго воспрещается существовать“ (Шариков в „Собачьем сердце“ Михаила Булгакова)

„Sie wissen selbst, einem Menschen ohne Dokumente ist es streng verboten zu existieren“ (Scharikow aka Bellow in Michail Bulgakows „Hundeherz)

Zutaten: 1 Jude, 12 Deutsche, 5cl Erinnerungskultur, 3cl Stereotype, 2 TL Patriotismus, 1 TL Israel, 1 Falafel, 5 Stolpersteine, einen Spritzer Antisemitismus

Zubereitung: Alle Zutaten in einen Film geben, aufkochen lassen und kräftig schütteln. Im Anschluss mit Klezmer-Musik garnieren.

Verzehr: Vor dem Verzehr anzünden und im Kino genießen. 100% Koscher.

„Der Klassengegensatz zwischen Arbeit und Kapital war […] der grundlegende, die einzelstaatlichen und nationalen Grenzen überschreitende, gesellschaftliche Widerspruch“


Spiel & Spaß


Übersetzungen: ТЯ

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм (allein unter) Kartoschki

100 грамм 9. Mai – Tag des Sieges

In der allerersten Episode unseres Podcast schenken wir euch gleich 100 грамм des antifaschistischen Sieges ein. С Днем Победы! Wir reden über die Bedeutung des Tages für uns und unsere Familien, über viele beeindruckende Bücher zu diesem Thema, lassen euch in einige Lieder hineinhören und sprechen über die Geschichte dieses Tages in der Sowjetunion und in Russland, unter anderem in Anlehnung an die großartige Vorlesung von Irina Schtscherbakova „Erinnerungen an den Krieg. Propagandistischer Mythos vs. „Grabenwahrheit“ auf arzamas.academy (RU).

In Deutschland wollen viele einen Schlussstrich ziehen, in Russland wird mit dem Tag eine patriotisch-nationalistische Politik betrieben – wir aber feiern, dass Nazi-Deutschland besiegt wurde, dass der „ Generalplan Ost“ gestoppt werden konnte, dass die Konzentrations- und Vernichtungslager befreit wurden… Und wir weinen um den hohen Preis dieses Sieges, um die Lager in der Sowjetunion, um unsere Familien.

Wie so vielen, helfen auch uns an diesem Tag 100 грамм – muss ja nicht gleich Wodka sein, nehmt erst einmal diesen Podcast!

100 Gramm 9. Mai – FOLGE ALS MP3

Weiterlesen

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм 9. Mai – Tag des Sieges

100 грамм Podcast – der Teaser

Heute vor 76 Jahren, am 2. Mai 1945 kapitulierte Berlin vor der Roten Armee. Eine Woche später – Gesamtdeutschland.

In einer Woche bekommt ihr zum Tag des Sieges unsere erste Episode ausgeschenkt! Aber wir nutzen den heutigen symbolträchtigen Tag, um schonmal einen kleinen Teaser in die Welt zu schicken.

Viel Spaß, Prost und Гитлер kaputt, Hurraa!

Veröffentlicht unter Podcast-Episoden 2021 | Kommentare deaktiviert für 100 грамм Podcast – der Teaser